Du arbeitest zuhause im Homeoffice, im Büro, mobil oder auf einer anderen Arbeitsstelle? Dann sind dir die Begriffe „Ergonomie“ oder „ergonomisch“ bestimmt schonmal aufgefallen.
Ich zeige dir, was darunter zu verstehen ist. Du erfährst alles zum Thema, von der Geschichte bis zur Ergonomie heute. Du lernst die wichtigsten Ziele und Vorteile kennen. Und, was passiert, wenn Ergonomie nicht ernst genommen wird.
Inhalt
Was ist Ergonomie?
Definition
Der Begriff Ergonomie setzt sich aus den beiden altgriechischen Wörtern „ergon“ (Arbeit) und „nomos“ (Gesetz, Regel) zusammen.
Ins Deutsche übersetzt kann also von „der Wissenschaft von der Gesetzmäßigkeit menschlicher Arbeit“ gesprochen werden.
Die Ergonomie wendet Prinzipien unterschiedlicher, aber sich überschneidender Wissenschaften an. So beispielsweise aus der Arbeitswissenschaften, Ingenieurswissenschaften, Psychologie und Anthropometrie (Lehre der Ermittlung und Anwendung der Maße des menschlichen Körpers).
Mit Erkenntnissen aus diesen wissenschaftlichen Disziplinen können Arbeitsmittel (Produktergonomie) und Arbeitsbedingungen wie die Arbeitsaufgabe oder Arbeitsumgebung (Produktionsergonomie) an die Bedürfnisse, Fähigkeiten, aber auch Einschränkungen des Menschen angepasst werden.
Hört sich noch immer zu kompliziert an?
Also einfach ausgedrückt:
Ergonomie am Arbeitsplatz im Speziellen
Die Ergonomie am Arbeitsplatz kümmert sich um die ergonomische Gestaltung von Arbeitsplätzen – und wir hier gezielt um den Computer- bzw. Schreibtischarbeitsplatz.
Das komplette Themenfeld hat Einfluss auf den Arbeitsplatz selbst, auf die verwendeten Arbeitsmittel, die Arbeitsumgebung, aber auch auf die Arbeitsorganisation, den Arbeitsinhalt und die Arbeitsaufgabe – siehe: Ergonomie Grundregeln (Ergonomische Gesetze, Regeln und Empfehlungen).
Gerade im Arbeitsschutz und in der Arbeitssicherheit hat die Ergonomie eine zentrale Bedeutung. Denn nur mit einem ergonomischen Arbeitsplatz ist ein effizientes und fehlerfreies Arbeiten bei gleichzeitigem Erhalt der Gesundheit möglich.
Am Anfang steht immer eine Analyse. Hierbei ist es wichtig, den Arbeitsplatz ganzheitlich zu betrachten. Im Fokus stehen:
- physische (vor allem das Muskel-Skelett-System betreffend),
- aber auch psychische und
- soziale Belastungen.
Es soll keine Belastung durch Überforderung (z. B. Zwangshaltungen, sich ständig wiederholende Tätigkeiten, Arbeiten mit hohem Kraftaufwand) als auch durch Unterforderung (z. B. Bewegungsmangel, Monotonie) auftreten.
Ein ergonomischer Arbeitsplatz ist an die individuellen Bedürfnisse und Fähigkeiten der dort beschäftigten Person angepasst. Er ist so gestaltet, dass die Person sicher, komfortabel und effizient arbeiten kann.
Wer hat´s erfunden? Eine kurze Geschichte der Ergonomie
Die älteste Definition bzw. die erste Verwendung des Begriffs Ergonomie geht auf den polnischen Begründer Wojciech Jastrzębowski zurück. Er schrieb 1857 in der Zeitschrift „Natur und Industrie“:
Ergonomie ist ein wissenschaftlicher Ansatz, damit wir aus diesem Leben die besten Früchte bei der geringsten Anstrengung mit der höchsten Befriedigung für das eigene und das allgemeine Wohl ziehen.
Wojciech Jastrzębowski
Der Durchbruch dieser neuen Disziplin kam jedoch erst ab 1957. Nämlich durch die bis heute erscheinende Fachzeitschrift „ERGONOMICS“ (englischsprachig).
Im Jahre 1959 hat sich dann die International Ergonomics Association (IEA) gegründet. In dieser sind über 50 nationale Gesellschaften zusammengefasst, die sich mit allen relevanten Themen der Arbeit beschäftigen. Hier in Deutschland zählt die Gesellschaft für Arbeitswissenschaft e. V. (GfA) dazu, die zum Institut für Arbeitsschutz der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (IFA) gehört.
Bei unseren deutschsprachigen Nachbarländern sind die Österreichische Arbeitsgemeinschaft für Ergonomie (ÖAE) und die Swiss Ergonomics Association (SwissErgo) in der IEA organisiert.
Ergonomie heute
Heute steht die Ergonomie im Wandel. Einerseits aufgrund der zunehmenden Digitalisierung, Automatisierung und mittlerweile auch immer mehr wegen des Aufkommens künstlicher Intelligenz.
Zum anderen gibt es aber auch ein immer besseres Verständnis, was zum allgemeinen Wohlbefinden der Menschen beiträgt – auf physischer, psychischer, aber auch sozialer Ebene.
Beispiel: Sitzen neu gedacht
Früher war da die Idee, Arbeitsplätze, Produkte und Systeme so zu gestalten, dass sie optimal zu den Menschen passen, die sie nutzen. Aber das beste ergonomische Produkt garantiert keine völlige Vermeidung von Belastungen.
So war das Ziel beim Sitzen am Schreibtisch bisher immer die ergonomisch beste Körperhaltung zu erreichen. Aber wie sieht diese in der Praxis aus? Und ist sie auf Dauer auch wirklich empfehlenswert?
Ein ergonomischer Bürostuhl bietet zwar alle Einstellmöglichkeiten, um eine optimale Sitzhaltung zu gewährleisten. Bleibst du jedoch längere Zeit darin verharren, kann dies negative Auswirkungen auf dein Wohlbefinden haben.
Besser ist, die Körperhaltung regelmäßig zu ändern, zu variieren. Und dies nicht nur in einer Richtung, also nicht nur durch das vorgegebene Zurücklehnen (typisch: Synchronmechanik). Die Bewegung sollte bestenfalls natürlich stattfinden können.
Kein Mensch ist zum Sitzen geboren. Wir alle haben einen natürlichen Bewegungsdrang. Und diesem sollten wir auch im Sitzen nachgehen können.
Zu dieser Erkenntnis sind auch viele namhaften Hersteller von Büromöbeln gekommen. Und so haben sie die Ergonomie ins hier und jetzt übertragen. Mittlerweile gibt es Bürostühle, die aufs Wesentliche reduziert sind. Fehlende Einstellmöglichkeiten oder gar das Fehlen der Rückenlehne bzw. der Armlehnen werden mit innovativen Sitzkonzepten ausgeglichen.
Viel wichtiger ist also nicht die beste ergonomische Sitzhaltung, sondern eine möglichst aktiv dynamische Sitzweise.
Parallel zu den Bürostühlen haben sich auch ergonomische Sitzmöbel wie der Aktivstuhl, Kniehocker, Sattelstuhl oder andere, flexible Bürohocker enwickelt. Heute eignen sich diese nicht nur als sinnvolle Ergänzung sondern als vollwertige Bürostuhlalternative am Schreibtisch.
Der Begriff Ergonomie als Marketingversprechen
Heute scheint alles ergonomisch zu sein. Nicht nur im Büro, auch bei Produkten des alltäglichen Lebens. Das Fahrrad ist ergonomisch, die Handtasche oder der Rucksack sind es und auch das Sofa, der Esszimmerstuhl oder das Bügelbrett sind so gestaltet. Ergonomie wird von vielen Unternehmen gerne als Werbung genutzt.
Doch ist auch alles ergonomisch, was vorgibt es zu sein? Leider nein. Oft ist es einfach nur ein Buzzword (ein Ausdruck, der im Verkauf besondere Aufmerksamkeit erregt), das nur deshalb verwendet wird, weil es eben gut verkauft.
Achte also beim Kauf ergonomischer Produkte darauf, ob es sich auch wirklich um ein solches handelt. In unserem Kaufratgeber findest du sechs Tipps, auf die du dabei unbedingt achten solltest. So zum Beispiel:
- Zuerst informieren
- Echte und vertrauensvolle Testberichte lesen
- Auf Ergonomie-Siegel achten
- Ggf. eine Förderung beantragen
- Nachhaltig kaufen
- Spartipp: Gebraucht kaufen
Ziele von Ergonomie
In der „Ergonomie-Norm“ DIN EN ISO 6385 steht geschrieben, dass sich die Ergonomie…
…mit dem Verständnis der Wechselwirkungen zwischen menschlichen und anderen Elementen eines Systems befasst und der Berufszweig, der Theorie, Prinzipien, Daten und Methoden auf die Gestaltung von Arbeitssystemen anwendet mit dem Ziel, das Wohlbefinden des Menschen und die Leistung des Gesamtsystems zu optimieren.
Daraus lassen sich also zwei konkrete Ziele ableiten, die eine Win-Win-Situation für Arbeitgeber und Beschäftigte ergeben. Übrigens zwei Faktoren, die auch direkt voneinander abhängig sind.
- Menschlichkeit:
Schon im Arbeitsschutzgesetz ist von einer menschengerechten Gestaltung der Arbeit die Rede (§ 2 ArbSchG). So sollen also die Arbeitsbedingungen dem Menschen und an die jeweils auszuübende Tätigkeit angepasst werden. Niemals andersherum. Belastungen sollen gemindert und gesundheitliche Risiken minimiert werden. Die individuelle Gesundheit soll lange erhalten und bestenfalls gefördert werden – Qualität des Arbeitslebens. - Wirtschaftlichkeit:
Wenn der Mensch ergonomisch arbeitet, werden dessen Leistungsmöglichkeiten optimiert. Dadurch kann die Qualität der Arbeitsergebnisse verbessert werden – ein, wenn nicht der Garant für den wirtschaftlichen Erfolg eines Unternehmens.
Vorteile von Ergonomie
Wie eben bei den Zielen gezeigt, gibt es immer zwei Faktoren, die bei der ergonomischen Arbeitsgestaltung berücksichtigt werden. Und so können auch jeweils Vorteile für den Menschen (die Beschäftigten) und für das Unternehmen festgemacht werden.
Vorteile für Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen
- Verringerung von Belastungen und Beanspruchungen
Durch die Einführung eines Sitz-Steh-Arbeitsplatzes können ungünstige, statische Arbeitshaltungen verringert werden. - Erhalt der eigenen Arbeitskraft
Werden die gesundheitlichen Bedingungen im Unternehmen verbessert, macht sich dies auch unmittelbar an der Gesundheit der Beschäftigten bemerkbar. Arztbesuche werden weniger und arbeitsbedingte Krankheitsbilder können zum größten Teil vermieden werden. - Erhaltung bzw. Förderung der Leistungsfähigkeit
Eine ergonomisch optimierte Arbeitsgestaltung hat körperliche aber auch psychische Auswirkungen. So lassen sich frühzeitige Ermüdungserscheinungen verhindern. Eine höhere Konzentration, Aufmerksamkeit und Sorgfältigkeit hat positive Effekte auf die individuelle Leistungsfähigkeit. - Gesteigerter Kalorienverbrauch auch bei vorwiegend sitzenden Tätigkeiten
Häufige Haltungswechsel können nicht nur Muskelverspannungen reduzieren, sie führen auch dazu, dass mehr Kalorien verbrannt werden. - Verbesserung der allgemeinen Lebensqualität durch eine erhöhte Arbeitszufriedenheit
Ergonomische Optimierungen besitzen ein großes Potenzial, die Mitarbeiterzufriedenheit zu steigern. Wer insgesamt zufriedener ist, ist ausgeglichen, motiviert und leistungsfähig. Wer sich vom Unternehmen wertgeschätzt fühlt, identifiziert sich mit diesem und geht gerne zur Arbeit.
Vorteile für das Unternehmen
- Senkung der Kosten durch weniger Krankheitsausfälle
Ein nach dem Arbeitsschutz und der Arbeitssicherheit optimal gestalteter Arbeitsplatz verhindert zu hohe Belastungen, Unfälle und auch Konflikte. Arbeitsbedingte Erkrankungen und Berufskrankheiten können vermieden werden. Dies führt zu weniger Fehlzeiten und auch weniger Absentismus (wiederholtes Blaumachen) oder Präsentismus (trotz Krankheit am Arbeitsplatz zu erscheinen). - Steigerung der Qualität, Produktivität und Effizienz
Wer motivierter arbeitet, macht weniger Fehler und wird insgesamt zufriedener. Damit steigt die Leistungsfähigkeit, wodurch sich auch die Produktivität und Qualität steigert. Bessere Produkte und Dienstleistungen führen zu einer erhöhten Kundenzufriedenheit. - Etablieren einer betrieblichen Präventionskultur
Wer als Unternehmen Gesundheit lebt, strahlt dies auch auf seine Beschäftigten aus. Jene werden für einen insgesamt gesünderen Lebensstil sensibilisiert und entwickeln eine höhere Eigenverantwortung. Eine verantwortungsvolle Unternehmensführung ist der Grundstein für die Entwicklung hin zu einem gesunden Unternehmen. - Ergonomie ist eine nachhaltige Investition in die Zukunft
Mit individuellen, ergonomisch gestalteten, alters- und alternsgerechten Arbeitsplätzen ist ein Unternehmen bestens gerüstet für den demographischen Wandel. Beschäftigte, die sich wertgeschätzt fühlen, bleiben treu. Dies führt zu weniger Fluktuation. Außerdem wird man durch eine Imagesteigerung attraktiv für hochqualifizierte Arbeitskräfte („War for talents“).
Ein letzter Vorteil für Unternehmen ist das Kosten-Nutzen-Verhältnis, also der sogenannte Return on Investment (ROI). Damit lässt sich die Wirtschaftlichkeit von Ergonomie am Arbeitsplatz messen. In der wissenschaftlichen Literatur ist es unstrittig, dass gezielte Maßnahmen zu betrieblichen Gesundheitsförderung einen positiven ROI besitzen.
Konkreter finden sich in mehreren unabhängigen US-amerikanischen Studien Kosten-Nutzen-Verhältnisse von 1:2,3 bis 1:5,9. Das würde bedeuten, dass für jeden investierten Euro (bzw. Dollar) in Ergonomie-Maßnahmen 2,3–5,9 Euro durch bspw. reduzierte Krankheitskosten eingespart werden können (siehe hierzu: Ergonomie-Benefits vom Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung IPA).
Risiken und Folgen fehlender Ergonomie am Arbeitsplatz
Werden keine ergonomischen Maßnahmen unternommen, so muss mit direkten und indirekten Konsequenzen gerechnet werden.
- Direkte Kosten:
Diese sind unmittelbar spürbar und umfassen vor allem die Arbeitsunfähigkeitstage (AU-Tage). Also die krankheitsbedingten Fehltage, die direkt ersichtlich sind. - Indirekte Kosten:
Hierunter fallen eine Vielzahl weiterer finanzieller Risikofaktoren für die unternehmerische Tätigkeit. Diese können sogar einen weitaus größeren Anteil der Kosten haben – wie bei einem Eisberg, bei dem sich der größere, unsichtbare Teil unter der Oberfläche befindet. Einige dieser nicht direkt ersichtlichen Kostenfaktoren sind: Absentismus, Präsentismus, Chronifizierung von Krankheiten, Fluktuation, Produktionsausfälle, Qualitätsverlust, Imageverlust, usw.